Die Autoindustrie rüstet auf – ohne Plan B

von Stephan Krull (stephankrull.info)

Auftaktveranstaltung des Regionalen Transformationsnetzwerkes Südostniedersachsen (ReTraSON)

Am 13. Oktober wurde die Auftaktveranstaltung des Regionalen Transformationsnetzwerkes Südostniedersachsen in Wolfsburgs Autostadt prachtvoll zelebriert. Mehr als 200 Personen, hauptsächlich aus der Auto- und Zulieferindustrie, aus Politik, Verwaltung und Wissenschaft nahmen teil.

ReTraSON ist ein Stück aus dem Kuchen des „Zukunftsfond Automobil“, der von der Regierung Merkel/Scholz nach dem Scheitern der Regierungskommissionen „Nationale Plattform Elektromobilität“ und „Nationale Plattform Zukunft der Mobilität“ gebacken wurde. Kurz vor dem xten Autogipfel im Kanzleramt hat die Regierung am 17.11.2020 weitere Subventionen für die Branche angeboten. Der „Zukunftsfonds Automobil“ wurde neben allen laufenden Subventionen mit einer Milliarde Euro ausgestattet. Auf der WebSite des Wirtschaftsministeriums von Robert Habeck heißt es u.a.: „Die Transformation im Automobilbereich ist eine zentrale gesellschafts- und industriepolitische Aufgabe, die nur mit einer Bündelung aller Kräfte gemeistert werden kann.“

 

Am 18.08.2021 hat der von der Regierung berufene Expertenausschuss zu diesem „Zukunftsfond“ beim 6. Treffen der „Konzertierten Aktion Mobilität“ im Kanzleramt seinen Bericht mit Empfehlungen zur Ausgestaltung der Förderung aus dem Zukunftsfonds vorgelegt, darin u.a.:

„Transformations-Netzwerke: Es wird von ca. 30 regionalen Netzwerken ausgegangen. Der Finanzbedarf liegt bei durchschnittlich 1,5 bis 2 Mio. € p.a. zum erfolgreichen Management der jeweiligen Netzwerke (vollständig abgedeckt durch eine 100% Förderung). Benötigtes Finanzvolumen bei einer Laufzeit von 4 Jahren: bis zu 200 Mio. €.“1 Tatsächlich wurden bisher 18 solcher Netzwerke in die Förderung aufgenommen2.

Der Expertenausschuss berichtet u.a.: „In Wirtschaftsregionen, welche in starkem Maße von der Automobilindustrie abhängig bzw. auf konventionelle Antriebstechnologien spezialisiert sind, könnte zur Diversifizierung ein Cross-Industry-Ansatz verfolgt werden. Dieser zielt darauf, mit dem in der Region vorhandenen Know-how und etablierten Kompetenzprofilen neue, auch sektorübergreifende Geschäftsfelder in anderen Branchen und Zukunftsmärkten zu erschließen.“

In der ministeriellen Förderrichtlinie für die Transformationsnetzwerke heißt es u.a.:

„Zielgruppe sind u.a. Unternehmen, insbesondere KMU, der Fahrzeug- und Zuliefererindustrie, Beschäftigte dieser Unternehmen, Beschäftigtenvertretung, Gewerkschaften, Kommunen und in Bezug auf den gesellschaftlichen Diskurs die Bevölkerung. Die Teilnahme an einem Transformationsnetzwerk steht allen relevanten und interessierten Akteurinnen und Akteuren der Region diskriminierungsfrei und kostenfrei offen.“3

Umso verwirrender und unverständlicher, dass zur Auftaktveranstaltung die Umwelt- und Sozialverbände, Klimabewegung und Verkehrsinitiativen, Kinderschutzbund, der Frauenrat und zum Beispiel die Kirchen nicht eingeladen waren. Die Gewerkschaft wurde zwar höflich begrüßt – kam im Laufe des Abends aber nicht mehr zu Wort.

Zum Ablauf des Auftaktveranstaltung4.

Die einzige Frau an diesem Abend, die viele Komplimente für ihre „charmante Art“ bekam, war die Moderatorin Carmen Hentschel – ansonsten führten fast drei Stunden lang Männer das Wort: zwei Oberbürgermeister, ein Landrat, der Chef der Autostadt, zwei Manager der „Allianz für die Region“, zwei Autoprofessoren und ein Wirtschaftsforscher.

Kurz gesagt: Es ging um eine starke regionale Gemeinschaft fernab aller Widersprüche und Gegensätze, um die „Idee der Partnerschaftlichkeit“: „Die Gemeinschaft ist hier zu Hause.“ Herr Ahlswede-Brech von der Allianz für die Region erklärte auf verstörende Weise, weshalb die Veranstaltung in Wolfsburg stattfindet: „Wir sind hier in Wolfsburg nicht ohne Grund, denn hier, im Herzen der Automobilindustrie der ganzen Welt, wird seit 80 Jahren ein Produkt perfektioniert.“ 1942, also vor 80 Jahren, war die „Stadt des KdF-Wagen“ ein wüster Ort bestialischen Nazi-Terrors, von Ferdinand Porsche und Anton Piëch zum Zweck von Rüstungsproduktion und Profitmacherei exekutiert. Ein bisschen mehr Geschichtsbewusstsein ist von solchen Menschen auf so einer Bühne wohl zu erwarten. Etwas Nachhilfe könnte das von mir herausgegebene Buch anlässlich 75 Jahre „Stadt des KdF-Wagen / Wolfsburg verschaffen5.

Zitiert sei noch kurz und sinngemäß aus dem langen Vortrag vom Gründer und Direktor des Center of Automotive Management, Prof. Stefan Bratzel: Unsere Autoindustrie wird aus dem Paralleluniversum China angegriffen, jetzt kommen noch die Mobilitätsanbieter wie Uber, OLA & Co. sowie in einem weiteren Universum dann Apple, Microsoft, Amazon und Alphabet, die uns alle ans Leder wollen – ebenfalls die Gemeinschaft und Partnerschaft beschwörend. Sein simpler Vorschlag, um das Reichweitenproblem von E-Autos zu lösen und den Absatz zu fördern, ohne viel Geld dafür auszugeben: Mehr Ladepunkte bauen.

Es genügt nicht mehr, so Bratzel, gute Autos zu bauen, sondern aus den Daten voll vernetzter Fahrzeuge ein Geschäft zu machen. Für derartige „In-Car-Commerce“ prognostiziert er bis 2030 ein Umsatzvolumen von bis zu 100 Milliarden Euro. Und er erzählt ein Beispiel, nämlich über ein „Emotionserkennungssystem“ im Auto, das erkennt, wenn „der Fahrer sich über seine Frau ärgert“. Was muss man mehr wissen über diesen chauvinistischen Autoverkäufer?

Eines noch: Bratzel sagt, dass dieser Weg für Volkswagen und Co. gelingen muss, „denn einen Plan B gibt es nicht“. Wie schade, dass ein „Zukunftsforscher“ so wenige Ideen für die Zukunft hat.

Was bleibt von dieser Veranstaltung?

Deutlich wurde, dass es nur um die Anpassung des Geschäftsmodells der Autoindustrie an die ökonomischen und technologischen Veränderungen geht. Die Klimakatastrophe hat keine Rolle gespielt, wurde nicht einmal erwähnt – außer in einer Publikumsbefragung, aber auf die dort geäußerten Fragen ging lieber niemand ein: Warum ist das Elektro-Auto nicht die Zukunft? Welchen Einfluss haben steigende Energiepreise auf E-Mobilität? Wer braucht ein Auto, das 23 Stunden am Tag herumsteht? Es steht doch gar nicht genug Energie für alle E-Autos zur Verfügung? Der ÖPNV spielte keine Rolle – außer in der Publikumsbefragung. Auch da ging niemand drauf ein. Die Frauen spielten keine Rolle – da ging schon sowieso niemand drauf ein. Die Gewerkschaften spielten keine Rolle – außer, dass sie als Initiatoren und Geldbesorger höflich begrüßt wurden.

In der Region und für die Akteure des regionalen Transformationsnetzwerkes geht es um eine neue Autofabrik (Trinity), eine Batteriefabrik (SalzGiga) und das notwendige drum herum. Es geht um den Bau von Millionen neuer Autos und die Generierung von Profit – um nichts anderes. VW selbst schreibt: „Das Geschäftsmodell 2.0 soll digitale Erlöse über die Nutzungsdauer generieren … schafft Volkswagen die Voraussetzungen für neue, datenbasierte Geschäftsmodelle.“ „Denn es wird nicht nur eine neue Fabrik in Deutschland errichtet. Auch die im Vorfeld als ‚Superplattform‘ titulierte Scalable Systems Platform (SSP) wird erstmals in Warmenau zum Einsatz kommen. Auf ihr sollen weltweit 40 Millionen Fahrzeuge gebaut werden. Doch auch in Warmenau scheinen Politik und Verwaltung analog zum Tesla-Werk in Grünheide alle Stolpersteine schon im Vorgriff aus dem Weg räumen zu wollen.“ Zweifelnd vermerken die Wolfsburger Nachrichten: “Dennoch bleibt zu bedenken, dass bis 2026 weltweit – und vor allem auch im Konzernverbund von Volkswagen – sehr hohe Kapazitäten bereits aufgebaut sind. Im neuen Trinitywerk in Warmenau sollen zunächst 250.000 Einheiten pro Jahr gebaut werden.“6 VW wirbt damit, dass das neue Auto den Menschen Zeit schenkt und ihnen Stress erspart. Nach einer langen Autobahnfahrt käme man entspannt am Ziel an. „Trinity wird für unsere Kunden also eine Art Zeitmaschine“.7 Obwohl das Auto in der Grundausstattung kaum unter 40.000 Euro angeboten werden wird, behauptet das Unternehmen, dass Trinity „das autonome Fahren im Volumensegment für viele Menschen ermöglichen wird“.

Auffällig, dass Bratzel und andere in diesen Zusammenhängen vom „Ökosystem“ Auto oder Autofabrik sprechen, den Begriff Ökosystem bewusst missbräuchlich falsch nutzend. Nochmals VW-Werbung: „Die Autos haben dann quasi alles an Bord und der Kunde kann gewünschte Funktionen jederzeit über das digitale Ökosystem im Auto hinzubuchen.“

Spurwechsel

ReTraSON ist offensichtlich nicht die Form, in der eine Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Transformation gewährleistet ist. Das hängt mit einem anderen Transformationsbegriff zusammen. Denn tatsächlich geht es nicht nur um einen Antriebswechsel oder ein anderes Geschäftsmodell, sondern um eine Abkehr von der die Umwelt zerstörenden und die Klimakatastrophe beschleunigenden Produktion und Produktionsweise. Für letztere Transformation geht es nicht nur um die Stoßrichtung öffentlicher und privater Investitionen, sondern um die Beteiligung der ganzen Gesellschaft. Neben Unternehmen, kommunalen Gebietskörperschaften, Belegschaften und Gewerkschaften müssen eben auch Vertreter:innen der Zivilgesellschaft aktiv einbezogen werden, also von Umwelt- und Sozialverbänden, der Klimabewegung und von Verkehrsinitiativen. Mehr Autos und mehr Straßen führen direkt in den Abgrund, auf einem toten Planeten gibt es dann auch keine Jobs mehr.

Die VW-Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo sagte in einer Rede, anknüpfend an das Erbe Willy Brandts, vor ein paar Tagen in Lübeck: „Ohne mehr Macht für die betriebliche Mitbestimmung und ohne eine gestärkte, modernere Betriebsverfassung scheitert die Transformation.“8 Bei den anstehenden Änderungen von Wirtschaft und Gesellschaft genüge es nicht, „auf Veränderungen zu reagieren“, sagt Christian Hoßbach vom „Hub: Transformation gestalten“ der Hans-Böckler-Stiftung, „Wir müssen uns früh in die Debatten einmischen, und zwar aus der Perspektive der Beschäftigten. Dafür braucht es geeignete Formate mit klaren Rechten, sonst hat die Demokratie hier einen riesigen blinden Fleck.“ Es gehe darum, einem „rein technischen Verständnis“ von Innovation entgegenzutreten.9

Dazu wurde in gewerkschaftlichen und anderen Zusammenhängen die Idee der Transformationsräte entwickelt, weil solche Räte die Voraussetzung für Sachverstand und Demokratie sind. Mobilität ist ein Grundrecht: die Möglichkeit der räumlichen Mobilität eines jeden Menschen ist ein individuelles Recht und die Voraussetzung sowie Bedingung für gesellschaftliche Teilhabe. Mobilität gehört als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zur öffentlichen Daseinsfürsorge. Also muss ein gesellschaftlicher und demokratischer Prozess organisiert werden, um die vielfältigen Herausforderungen anzugehen. Die notwendigen Veränderungen können nur örtlich und regional umgesetzt werden: global denken und lokal handeln. Für eine dicht besiedelte Region wie Südostniedersachsen mit hunderttausend Arbeitsplätzen in der Auto- und Zulieferindustrie und einer entwickelten Verkehrsinfrastruktur gibt es außerordentlich große Herausforderungen, mit der Stahlindustrie und der Schienenfahrzeugindustrie aber auch große Möglichkeiten. Deshalb ist mindestens zur Ergänzung von ReTraSON ein regionaler Transformationsrat wie oben beschrieben erforderlich. Daran sollten die interessierten Gruppen, Organisationen und Institutionen jetzt, nach der Auftaktveranstaltung von ReTraSON, zielgerichtet arbeiten.

https://www.vsa-verlag.de/nc/buecher/detail/artikel/spurwechsel/

1https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/S-T/transformationsdialog-automobilindustrie-bericht.pdf?__blob=publicationFile&v=4 , https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/221010-zielbild.pdf?__blob=publicationFile&v=2

2https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/F/forderprojekte-der-transformations-netzwerke.pdf?__blob=publicationFile&v=6

3https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/E/entwurf-foerderbekanntmachung-transformationsstrategien-regionen-fahrzeug–zulieferindustrie.pdf?__blob=publicationFile&v=4

4https://www.youtube.com/watch?v=6nJlkNv2koE

5https://www.ossietzky.net/laden/75-jahre-stadt-des-kdf-wagen-wolfsburg-stephan-krull-hg/

6Wolfsburger Nachrichten, 14.6.2022

7https://www.volkswagenag.com/de/news/2021/03/project-trinity–with-high-range–extremely-short-charging-times.html

8https://www.waz-online.de/lokales/wolfsburg/livestream-willy-brandt-rede-von-vw-betriebsrats-chefin-daniela-cavallo-JVEALYHH6IPD4BSQIDCGJG3BGE.html

9https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-transformation-braucht-mitbestimmung-43349.htm

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Recht auf Parken steht über dem Versammlungsgesetz? – zumindest in Wolfsburg

Selbes Spiel wie vor drei Wochen beim „No Parking Day“, Polizei und Stadtverwaltung unterbinden Kritik an Volkswagen in der Innenstadt.

Auf einem Parkplatz in der Porschestraße wurde fristgerecht für diesen Samstag eine Versammlung angemeldet, mit dem Ziel auf die Probleme der Emobilität und die Mahnwache in Warmenau gegen das geplante Trinity-Werk aufmerksam zu machen und mit Passanten ins Gespräch zu kommen.

Die Stadtverwaltung verweigerte erneut ihre Arbeit, indem sie nicht auf die Anmeldung reagierte und auch die Polizei nicht informierte.

Das Versammlungsgesetz, was auch in Niedersachsen gilt, ist eindeutig, man muss eine Versammlung anmelden, ein Auflagenbescheid kann ausgestellt werden, muss aber nicht.

Da die Versammlung fristgerecht angemldet war, begaben sich zwei Personen zur angemeldeten Zeit auf die angemeldete Versammlungsfläche – ein Parkplatz in der Porschestraße – um festzustellen, dass dieser Parktplatz von einem zu diesem Zeitpunkt parkenden Auto versperrt war.

Somit hangen die zwei Personen neben dem Parkplatz ein Transparent auf mit der Aufschrift „Sauere E-Autos? Dreckige Lüge“, bauten einen kleinen Infotisch auf sowie eine Ausststellung die über die Nachteile von E-Autos aufklärt und begannen Flyer zu verteilen.

Nach etwa 15 Minuten tauchte plötzlich ein Streifenwagen auf welcher direkt auf die Versammlung zusteuerte. Zwei Beamte stiegen aus und begannen direkt vehement einen Auflagenbescheid, den es nicht geben konnte, und die Personalien aller Anwesenden einzufordern. Die Gruppe ließ sich nicht beirren und versuchte die Versammlung wie geplant fortzusetzen. Die Beamten drohten mit Ordnungsgeldern und gaben an, es könne generell keine Versammlung ohne Auflagenbescheid geben – schongarnicht auf einem Parkplatz, denn „Leuten steht es zu hier zu parken […]“.

Das rechtswidrige Handeln der Wolfsburger Seilschaften aus Stadt und Konzern spitzt sich in den letzten Wochen immer weiter zu (zuletzt kassierte das OVG Münster die rechtswidrigen Auflagenbescheide zur Mahnwache auf der geplanten Trinity Werksbaustelle). Das werden wir nicht hinnehmen, nächsten Samstag geht’s weiter mit einem Infostand auf der Porschestraße. Wir freuen uns über Unterstützung.

 – von einer Person, die beim Infostand dabei war

Anspruchsvolles Workshop-Programm auf der Verkehrswende-Mahnwache „Stop trinity!“

Seit Mittwoch dürfen die Verkehrswende-Aktivist*innen mit ihrer Mahnwache gegen die neue Autofabrik Trinity auf der von ihnen gewünschten Fläche protestieren. Das Oberverwaltungsgericht rügte die versammlungsfeindlichen Auflagen der Stadt Wolfsburg und hob diese auf. Jetzt wollen die Aktivist*innen zeigen, dass es ihnen um mehr geht als die Verhinderung von immer neuer Autoproduktion. Sie streben eine umfassende Verkehrswende an, wollen Klima und Natur schützen. Fast täglich finden auf der Mahnwache Workshops statt, zu denen alle Interessierten eingeladen sind.
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Trinity-Mahnwache: Auch Protest ist Teil des Dialogs

 

Der folgende Kommentar wurde in der WAZ am 29.9.2022 veröffentlicht:

Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts ist richtig, die Auflagen der Stadt für die Trinity-Mahnwache waren überzogen. Aber schlimmer noch: Sie untergraben das Versprechen des Dialogs.

Die Justiz hat entschieden: Die Protest-Mahnwache gegen das Trinity-Werk darf nun doch auf dem künftigen Fabrik-Gelände stattfinden. Egal wie man zu den – teils überzogenen und unrealistischen – Forderungen der Aktivisten stehen mag: Das Urteil ist gerechtfertigt. Das Recht auf Versammlungsfreiheit kann nicht einfach weggewischt werden, nur weil es unbequem ist.

Die Stadt hätte besser daran getan, den eingeschlagenen und versprochenen Weg des Dialogs auch in dieser Sache fortzusetzen. Stattdessen wurden überzogene Auflagen gemacht, von denen auch vorher absehbar war, dass sie vor Gericht nicht standhalten. Das verleiht der Kritik der Aktivisten an angeblichen Seilschaften zwischen Stadt und Volkswagen nicht nur mehr Nachdruck, sondern könnte ihrem Protest auch weitere Sympathien verschaffen.

Wenn man zeigen will, dass ein Großprojekt auch ohne Komplikationen und im Dialog mit den Bürgern abgewickelt werden kann, dann gehört auch dazu, dass man Protest aushält. Denn wenn sich jeder ernst genommen fühlt, dann kann auch ein kleiner Protest die Akzeptanz für Trinity nicht erschüttern.

OVG Lüneburg kassiert rechtswidrigen Auflagenbescheid der Stadt Wolfsburg

Dauermahnwache gegen Trinity darf wie geplant durchgeführt werden – auf der zukünftigen Baustelle!

 

Zitate aus dem Beschluss vom 27.9.2022 (Niedersächsisches OVG, 11 ME 284/22, abends zugegangen):

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die teilweise Ablehnung seines Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in dem angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts hat Erfolg. …
Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit schützt dabei auch das Interesse des Veranstalters, auf einen Beachtungserfolg nach seinen Vorstellungen zu zielen, also gerade auch durch eine möglichst große Nähe zu dem symbolhaltigen Ort. …
Die Antragsgegnerin ist im Beschwerdeverfahren –  … – vollständig unterlegen.

 

Das Tauziehen um die Protestmahnwache gegen das neue VW-Werk nördlich von Warmenau ist beendet – und die Verkehrswende-Aktivist*innen erreichten einen vollständigen Erfolg. Denn nachdem das Verwaltungsgericht Braunschweig am Freitag der Stadt Wolfsburg Rückendeckung gab und etliche krasse Auflagen gegen die Kundgebung „Mahnwache gegen Bau der Trinity“ bestätigte, wurde dieser Beschluss am Dienstagabend vom Oberverwaltungsgericht in Lüneburg gekippt. Der Antragsteller gewann die Klage in allen Punkten, die Protestler*innen können ihre Mahnwache nun genau wie geplant abhalten. Insbesondere die Ortsverlegung der Mahnwache konnte der Senat des OVG nicht nachvollziehen und stellte ihn mit folgenden Worten als rechtswidrig fest:

Nach den im Internet von der Volkswagen AG zur Verfügung gestellten Informationen (https://www.trinity-werk.info/de, abgerufen am 27.9.2022) sollen die Bauarbeiten für das neue Volkswagen-Werk im Jahr 2023 beginnen. Auf der Webseite der Stadt Wolfsburg heißt es, der Spatenstich sei im II. Quartal 2023 geplant, es sei geplant, den Bau des Trinity-Werks im III. Quartal 2024 abzuschließen, offizieller Produktionsstart des Trinity sei für 2026 geplant, die ersten Vorserien würden in 2025 gebaut (https://www.wolfsburg.de/trinity, abgerufen am 27.9.2022). Soweit das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss angenommen hat, das beabsichtigte Campinglager behindere bzw. verhindere die Errichtung von Zäunen oder anderen Einrichtungen zur Sicherung der Baustelle an dieser Stelle (vgl. insoweit auch die Antragserwiderung vom 23. September 2022, Bl. 72 der Gerichtsakte 5 A 260/22), ergibt sich unter Berücksichtigung des dargestellten Zeitrahmens kein greifbarer Anhaltspunkt für eine unmittelbare Gefahr. Wie ausgeführt, steht zunächst die tatsächliche Veräußerung und die Übergabe der Fläche an die Volkswagen AG an. Diese Schritte stehen gegenwärtig nicht unmittelbar bevor, sondern deren Zeitpunkt ist derzeit noch ungewiss. Es ist weder vorgetragen noch für den Senat sonst ersichtlich, dass vor diesen Schritten und damit in unmittelbarer zeitlicher Nähe mit dem Beginn der vom Antragsteller beabsichtigten Versammlung eine Errichtung von Zäunen oder anderen Einrichtungen zur Sicherung der Baustelle ansteht. Insofern besteht derzeit auch kein Anhaltspunkt für die Annahme, das beabsichtigte Campinglager gefährde unmittelbar die Errichtung von Zäunen oder anderen Einrichtungen zur Sicherung der Baustelle an dieser Stelle. (Niedersächsisches OVG, 11 ME 284/22)

„Es ist bitter, dass es so einen langen Rechtsweg braucht, um in Wolfsburg seine Meinung kundzutun, wenn sie sich gegen das Konzernwohl von Volkswagen richtet. Das zeigt nochmal auf, wie eng die Verflechtungen zwischen Konzern, Stadt und Justiz sind – mit dem Ziel, ein reibungsloses Immer-weiter-so durchzudrücken. Dabei ist gerade in dieser Region und diesem Werk eine soziale und ökologische Transformation bitter notwendig“, kommentierte Sascha, aktiv an der Mahnwache, die obergerichtliche Entscheidung.  Es sei nicht das erste Mal, dass Polizei und Stadtverwaltung in Wolfsburg das Grundrecht auf Versammlungen missachten.

Umzug der Mahnwache am Mittwoch mittags

Für Mittwoch kündigten die Verkehrswende-Aktivist*innen den Umzug von der von der Stadt zugewiesenen Fläche auf den Acker auf dem Trinity-Baugelände statt. Die Mahnwache steht dann direkt am Abzweig des vielgenutzten Spazier- und Radwegs „Kampweg“ von der K31 (Straße Warmenau-Brackstedt, nahe Heidkoppel). Dort soll es nach dem Umzug schnell mit weiteren Aktivitäten losgehen, kündigten die Aktivist*innen an und laden alle Interessierten ein: „Morgen Nachmittag soll die Mahnwache dann auf der ursprünglich geplanten Fläche stehen – und wir erklären gern allen Menschen unsere Ziele, gerne auch all denen, die uns kritisch sehen.“ Für das Wochenende und die kommende Woche seien einige Veranstaltungen geplant, z.B. ein Vortrag einer Aktivistin der Umweltgewerkschaft und VW-Beschäftigten über Greenwashing bei VW am kommenden Freitag um 16 Uhr, eine Streitdiskussion mit dem Titel „Sinn und Unsinn von Elektroautos“ und eine ökologische Führung über die geplanten Trinity-Flächen sowie mehrere Workshops in der darauffolgenden Woche, eine Streitdiskussion mit dem Titel „Sinn und Unsinn von Elektroautos“ und eine ökologische Führung über die geplanten Trinity-Flächen (mehr unter: stoptrinity.blackblogs.org/programm).

Verwaltungsgericht Braunschweig, der verlängerte Arm von Volkswagen, gibt der Wolfsburger Versammlungsbehörde Rückendeckung, Aktivist*innen von der Mahnwache legen Beschwerde beim OVG ein.

Verwaltungsgericht Braunschweig, der verlängerte Arm von Volkswagen, gibt der Wolfsburger Versammlungsbehörde Rückendeckung, Aktivist*innen von der Mahnwache legen Beschwerde beim OVG ein.

Die Stadt Wolfsburg hat die Mahnwache gegen das Trinity-Werk am angemeldeten Standort, auf einem Acker direkt auf dem zukünftigen Baugelände, verboten. Stattdessen sollte sie an einem Ersatzort neben einer Landstraße stehen. Auch weitere freche Auflagen erteilte die Stadt (Abschirmen der Versammlung mit Sicht- und Lärmschutzwänden zur Öffentlichkeit hin, Verbot von Heringen beim Zelten, keine Banner in Bäume hängen…) Gegen den Auflagenbescheid legte der Anmelder der Mahnwache Klage vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig ein.

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Haben wir das nicht immer gewollt?

Ein Text von Vence!remos, Mitarbeiter bei VW

VW stellt Trinity als massentaugliches Fahrzeug vor, ein Fahrzeug also, das sich die breite Masse der Menschen auch leisten kann. Das leisten können eines Solchen Fahrzeugs, bdeutet meistens  für die breite Masse der Menschen, sich zu verschulden. Einen Kredit aufzunehmen. Und das Aufnehmen des Kredites für das Fahrzeug gehört ja auch zum System von VW, zum System des Fahrzeugverkaufens. Continue reading Haben wir das nicht immer gewollt?